Es ist wahr – dieser Blog über das Leben im Ausland hat sich zeitweise in einen Reiseblog verwandelt. Aber was kann ich sagen? Ich wollte die Eindrücke frisch aufschreiben und es hat mir viel Spaß gemacht, die Reisen Revue passieren zu lassen. Deswegen ist mein Alltag, der eigentlich den Großteil meiner Zeit hier ausmacht, zu kurz gekommen. Das wird sich mit diesem Eintrag allerdings ändern, denn ich möchte über das schreiben, was der Grund für meinen Aufenthalt überhaupt ist: Das Studium.
Jeder kann sich etwas unter dem Studieren in Deutschland vorstellen, weil man selbst studiert oder Bekannte hat, die an einer Uni eingeschrieben sind. Und auch, wenn jede Hochschule in Deutschland etwas anders operiert, ähneln sich doch alle in ihren Grundzügen. Aber wie sieht das im Ausland aus? Wie organisiert sich der Studienalltag? Müssen sich auch dort Studierende mit Prüfungen und Hausarbeiten rumquälen? Wie unterscheidet es sich vom Studium in Deutschland?
Bevor das Semester anfing, war das Organisationschaos perfekt: Meine Uni, die „PUCC“, hatte zwar gute Strukturen und Anlaufstellen für Hilfe, aber gleichzeitig rund 400 internationale Studierende, die das System komplett überlasteten. Die Website der Uni schien unübersichtlich und insbesondere am Anfang verlief die Kommunikation mit den Koordinator*innen der Partneruni schleppend. Aber es gab auch gute Nachrichten: Die Webseite zur Einschreibung der Kurse sowie die Suchwebseite und die Lernplattform „Canvas“ waren deutlich einfacher zu bedienen als „STiNE“ von der Uni Hamburg. Nach einer Informationsveranstaltung funktionierte somit die Einschreibung sehr gut. Es brauchte zwar etwas Durchhaltevermögen am Anfang, nach und nach klärte es sich dann allerdings. Und somit war ich in der zweiten Woche mit meinen vier Kursen gut aufgestellt und bereit durchzustarten.
Viel Zeit musste ich laut meinem Stundenplan nicht in der Universität verbringen: Jeder Kurs besteht aus zwei Unterrichtseinheiten à 80 Minuten; bedeutet also, dass ich insgesamt nur 10 Stunden und 40 Minuten in der Woche Unterricht habe. Und dazu ein viertägiges Wochenende! Wenn das nur so in Deutschland wäre... Allerdings bedeutet Studium auch in Chile einen hohen Anteil an Selbststudium, sodass zu Hause nicht selten Arbeit auf mich wartet. Es gibt Texte zu lesen, Inhalte zu wiederholen, etc.
Was mir am Anfang des Semesters direkt auffiel, war, dass an der PUCC mehr Leistungsnachweise erbracht werden. Während ich an der Uni Hamburg normalerweise eine Klausur am Ende über alle Inhalte schreibe, verteilen sich hier Teilprüfungen über das Semester, aus denen sich dann die Endnote zusammensetzt. Die einzelnen Klausuren liegen normalerweise ca. 4 Wochen auseinander und beziehen sich inhaltlich auf die vorgegangene Einheit. Es ist also eher mit dem Schulsystem in Deutschland vergleichbar. Das war teilweise gewöhnungsbedürftig. Normalerweise macht eine Klausur 100% der Note aus; und jetzt soll ich auf einmal aufhören, für die Klausur, die nur 30% ausmacht, wie verrückt zu lernen? Es ist unmöglich, die Lernstrategie nicht zu verändern, weil es sein kann, dass innerhalb von zwei oder drei Wochen in allen Fächern Leistungen zu erbringen sind und man sich so nicht immer umfassend vorbereiten kann. Somit finde ich, dass das deutsche System mehr auf eigenverantwortliche Vor- und Nachbereitung über das gesamte Semester setzt. Hier in Chile wird extrinsisch durch die vielen Prüfungen dazu angespornt, die Inhalte zu wiederholen. Allerdings kann es auch eine Entlastung sein, dass nicht die gesamte Note von einer Prüfung abhängt, sondern alles Stück für Stück abgearbeitet wird. Es mag also anfangs verschult scheinen, ist aber im Endeffekt humaner.
Außerdem zeigen meine chilenischen Dozierende eine hohe Flexibilität in Bezug auf die Prüfungen. So ist es mir schon mehrmals passiert, dass ein Prüfungstermin überraschend schnell näher rückt und man sich fragt, was man denn überhaupt Neues gelernt hat, dass man schon wieder eine Prüfung schreibt. Und bevor man überhaupt seine Lernmaterialien rausholt, wird die Prüfung um eine Woche verschoben. Es gibt also mehr Freiheit, was den Termin, aber auch die Gestaltung der Prüfung anbelangt.
Im Gegensatz zu dieser Flexibilität steht jedoch der vorgegebene Studienplan in der Hispanistik. Sowohl in Deutschland als auch in Chile sind gewisse Module verpflichtend; du kommst nicht an dem Kurs vorbei. Allerdings bist du in Deutschland recht flexibel in Bezug auf den Zeitpunkt, wann du welchen Kurs machen möchtest und welchen inhaltlichen Schwerpunkt du wählen möchtest. Ich könnte also beispielsweise erstmal alle Veranstaltungen aus Bereich A abarbeiten, und danach alle aus dem Bereich B oder beide parallel und dafür Stück für Stück. In Chile sind die Kurse hingegen festgelegt auf gewisse Semester. Das bedeutet, dass man mit so gut wie allen Leuten, mit denen man das Studium beginnt, seine Kurse gemeinsam hat. In späteren Semestern lassen sich erst Schwerpunkte legen und die Stundenpläne variieren. Ich muss mich an der Uni Hamburg aktiv mit meinen Kommiliton*innen absprechen, wenn ich mit ihnen gemeinsam Kurse besuchen möchte, habe dafür ziemlich viel Freiheit, meine Stundenpläne zu variieren.
Was die Anforderungen anbelangt, sind große Unterschiede erkennbar. Meine Linguistik-Kurse sind deutlich entspannter als mein Kurs aus der Literaturwissenschaft. Bei diesem sollen wir pro Woche mindestens einen Roman lesen, zwei Referate á 20 Minuten halten, einen „kurzen“ Essay (5 Seiten) sowie einen langen (10 Seiten) einreichen. Also nicht ganz ohne. Mein Kurs aus der Theaterpädagogik ist mein kleiner Liebling, weil ich die einzige internationale Studentin unter vielen zukünftigen Schauspieler*innen bin und die Inhalte relevant und didaktisch klug vermittelt werden. Alle meine Dozierenden sind herzliche Menschen; von meiner Dozentin für Theaterpädagogik werde ich sogar mit Küsschen auf die Wange begrüßt. In allen meinen Kursen herrscht es ein freundliches und angenehmes Kursklima.
Anfangs war es herausfordernd, auf Spanisch zu studieren. Um dem Unterricht folgen zu können, musste ich mich deutlich mehr konzentrieren, sodass ich häufig müde nach Hause kam. Hier sind jedoch erfreulich schnell Verbesserungen zu bemerken: Nach nur ein paar Wochen wurde das Verstehen einfacher und die Hürde, sich zu beteiligen, geringer. Mittlerweile gibt es wenige Momente, in denen ich aufgrund der Sprache meinen Dozierenden nicht folgen kann. Was mir nach wie vor Schwierigkeiten bereitet, ist das Verfassen akademischer Texte (bspw. Essays, in Klausuren, etc.). Aber ich muss dazu sagen, dass das selbst auf Deutsch nicht meine Stärke ist ;). Und deswegen freue ich mich sehr darüber, dass der gewünschte Effekt auf mein Spanisch durch das Studium sich gezeigt hat.
Zum Schluss noch zu dem, was mit der Uni, aber nicht mit dem Studium zu tun hat. An der PUCC gibt es eine Vielzahl extracurricularer Aktivitäten, Gruppen, Initiativen, etc., bei denen man sich einbringen kann. Leider habe ich keine Möglichkeit gefunden, mich sozial zu engagieren, aber konnte an einem Schwimmkurs teilnehmen. Auch konnte ich in meinen Kursen ein paar Freundschaften schließen; die Uni ist ein wichtiger Ort für mich, um Leute kennenzulernen. Besonders ins Herz geschlossen habe ich die christlichen Campusgruppe „GBU“ (so wie die „SMD- Studentenmission in Deutschland“), zu der ich seit März gehe. Wir treffen uns zwei Mal wöchentlich, um miteinander zu beten, Bibel zu lesen und Begegnung mit Gott im Unialltag zu suchen. Häufig bleiben wir nach dem Treffen und essen gemeinsam Mittag. Dabei habe ich gar nicht aktiv nach einer christlichen Gruppe in der Uni gesucht: Eines Tages ging ich einfach über den Campus und hörte auf einmal die Melodie eines Liedes, das ich aus meiner Gemeinde in Deutschland kannte. Ich blickte mich um und sah eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam sangen. Als erstes hatte ich den Impuls, weiterzugehen. Dann hielt ich allerdings inne; wann trifft man schon mal eine evangelische Gruppe auf dem Campus einer katholischen Uni? Deswegen ging ich auf die Gruppe zu und fragte sie: „Habt ihr gerade „Echo“ gesungen?“. Und das war der Anfang meiner Zeit bei der GBU. Es ist viel Gutes daraus hervorgekommen; ich durfte tolle Leute kennenlernen, habe eine Gemeinde gefunden, bei der ich mich wohl fühle und konnte sogar auf eine Freizeit mitkommen. In Momenten, wo ich mich einsam hier gefühlt habe, waren diese Treffen wie ein Anker, weil ich daran erinnert wurde, dass Gott auch hier bei mir im Ausland ist. Deswegen gibt es keinen Grund für die Einsamkeit :). Rückblickend also die richtige Entscheidung, nicht weiterzugehen...
So formt und formte sich mein Alltag durch die Uni und die Aktivitäten auf den wunderschönen Campus der PUCC. Es stehen jetzt noch drei Wochen des Semesters an und damit ist dann meine Zeit hier abgeschlossen (danach geht’s „nur noch“ auf Reise ;)). Die PUCC trägt nicht umsonst den Titel „Beste Universität Lateinamerikas“ und ich kann nicht anders, als immer wieder zu betonen, wie dankbar ich dafür bin, hier sein und studieren zu dürfen: Dankbar für die einzigartigen Kurse, dankbar für viel, viel Spanisch in meinem Alltag; und dankbar für die internationale und chilenische Community, die ich kennenlernen durfte.
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